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Beitrag vom 20.05.2010
Menschenhandel ist moderne Sklaverei
Marie Heidingsfelder
"Zwangsköchinnen gesucht!" So lautete das provokante Motto, unter dem die Beratungsstelle gegen Menschenhandel Ban Ying ihre neue Kampagne gegen die Ausbeutung von Arbeitskraft vorstellte.
Der Kampf gegen den Menschenhandel liegt an der Schnittstelle mehrerer Institutionen. Im Rahmen einer Pressekonferenz am 10. Mai 2010 stellten daher Verantwortliche aus unterschiedlichen Bereichen ihre gemeinsamen Maßnahmen und besonders die jüngst entwickelte Kampagne vor. Im Beisein vieler JournalistInnen sprachen Almuth Nehring-Venus, Frauen-Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen, Dr. Nivedita Prasad, von Ban Ying und Heike Rudat, Dezernatsleiterin des Landeskriminalamtes Berlin.
Das Ziel des ressortübergreifenden Ansatzes ist die Organisierung der Hilfe für Betroffene, die Skandalisierung der Fälle und die Präventionsarbeit.
Hintergrund
Während der Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung seit Jahren öffentlich diskutiert und verurteilt wird, erhält das Phänomen des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft relativ wenig Aufmerksamkeit. Dazu trägt zum einen bei, dass die Betroffenen oft im nicht öffentlichen Bereich isoliert und von ihren "Besitzern" überwacht sind, und zum anderen, dass sie in der öffentlichen Debatte häufig mit illegalen Einwanderern gleich gestellt werden. So werden aus Opfern Täter.
Seit 2000 ist Menschenhandel in einer UN Konvention international einheitlich definiert. Im Februar 2005 folgte Deutschland der Aufgabe, die nationale Rechtssprechung zu ändern. Seither ist der Menschenhandel hierzulande gemäß §233 im StGB strafbar.
Da diese Form der modernen Sklaverei sich hauptsächlich im Dunkelbereich privater Haushalte abspielt oder durch legale Verträge vertuscht wird, gibt es nur die grobe Schätzung vom 15.000 Betroffenen pro Jahr. Eine aktuelle Studie ist jedoch in Arbeit.
Dass es dennoch nur in sehr wenigen Fällen zu einer Anklage kommt - insgesamt wurden bisher nur 27 Fälle dem BKA gemeldet - liegt auch an den engen Kriterien für Menschenhandel: Laut Gesetz müssen die Tatbestände der Sklaverei, der Schuldknechtschaft oder der Leibeigenschaft erfüllt sein.
Was sich mittelalterlich anhört, ist hier und heute traurige Realität, wie die Fälle der äthiopischen Spezialitätenköchin Lakech Demise und der indonesischen Diplomaten-Angestellten Hasniati beweisen. Zudem wird die rechtliche Lage dadurch erschwert, dass es ein großes freiwilliges Angebot an unterbezahlter Arbeit gibt. Die Grenze zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Ausbeutung ist manchmal kaum zu ziehen - besonders in Abwesenheit von Tarifverträgen, wie Heike Rudat betont.
Im Gegensatz zur Zwangsprostitution betrifft die Ausbeutung von Arbeitskraft auch Männer, die beispielsweise im Bau- oder Kochgewerbe wie "Leibeigene gehalten" werden, so Heike Rudat. Ein deutlicher Indikator für dieses Verbrechen ist, dass Schlaf- und Arbeitsort identisch sind, wie es bei einem chinesischen Koch der Fall war, dessen Zuhause eine Matratze im Keller der Küche war.
Weitere betroffene Personen finden sich unter AuPairs, Hausangestellten, RosenverkäuferInnen, LandwirtschaftsarbeiterInnen oder auch in Nagelstudios. Die Kampagne und die Strukturen zur Stabilisierung der Opfer sind also genderneutral, wie Dr. Nivedita Prasad betont. Dennoch geht sie davon aus, dass Frauen häufiger betroffen sind, da ihnen jede finanzielle Unterstützung und soziale Anbindung bei der Einreise fehlt. Im Gegensatz zu Männern, die oft auf die Unterstützung ihrer Familie oder eines ganzen Dorfes zählen können, müssen sie sich auf Agenturen verlassen. Häufig werden sie dabei mit legalen Verträgen geködert, gleichzeitig aber unter dem Vorwand, absurd hohe Schulden zu haben, kategorisch unterbezahlt.
Die Kampagne
Das Hauptproblem im Kampf gegen die moderne Sklaverei ist das Erreichen der Betroffenen. Oft werden sie regelrecht bewacht, sprechen kein Deutsch und haben kaum Kontakt zu anderen Personen als ihren Unterdrückern. Diese erhöhen gleichzeitig den psychischen Druck, indem sie auf den angeblichen Schuldenberg verweisen oder behaupten, die deutsche Polizei sei rassistisch und foltere Ausländer. Ban Ying hat deshalb eine sehr gut durchdachte und kreative Kampagne entwickelt, die auf zwei Beinen steht: Erstens wurden kleine Seifen als "give aways" konzipiert, die in verschiedenen Sprachen auf das Hilf- und Beratungsangebot von Ban Ying hinweisen. Diese können unauffällig an vermutete Opfer gegeben werden, ohne dass ihre Überwacher aufmerksam werden. Zweitens wurden Plakate entworfen, die dem Design der vermuteten Heimatländer entsprechen und Inländern kaum auffallen.
Auf den ersten Blick bewerben sie Wellness-Angebote oder Handys, aber übersetzt auf Chinesisch, Vietnamesisch, Türkisch, Amharisch, Französisch und Englisch finden sich Texte wie "Probleme mit dem Chef? Keine oder schlechte Bezahlung? Immer unter Kontrolle? Pass weggenommen? Drohung mit der Ausländerbehörde? Probleme mit Ihrem Mann? Schläge, unfreiwilliger Sex oder andere Gewalt? Rufen Sie uns an: kostenlose und anonyme Beratung - auch für Menschen ohne Papiere." Darunter findet sich die Nummer und Adresse von Ban Ying. Der Clou der Plakate ist, dass sie auf Motorrollern mobil eingesetzt werden können. Rechtlich gesichert können sie also vor Asia-Supermärkten, Spielplätzen, oder auch in bestimmten (Diplomanten-)Wohnvierteln geparkt werden - also dort, wo Fälle von Menschenhandel vermutet werden. In Berlin sind das beispielsweise die Gegend um den Potsdamer Platz, Zehlendorf, Grunewald oder auch Pankow.
Ban Ying hofft, mit dieser Kampagne ein Licht in das Schattendasein der Betroffenen bringen zu können und plant auch eine Version für osteuropäische und indische Opfer.
Darüberhinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit der "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" geplant, die häufig den Erstkontakt mit den Betroffenen hat und dementsprechend fortgebildet und sensibilisiert werden muss.
Die Expertinnen
Almuth Nehring-Venus, Frauen-Staatssekretärin: "Durch die Arbeit der interdisziplinären Berliner Fachkommission Frauenhandel haben wir sehr gute Kooperationen aufbauen können, in denen Beratungsstellen und Zufluchtseinrichtungen mit der Polizei und anderen Behörden eng vernetzt sind. Für Frauen, die Opfer von Menschenhandel werden, existiert in Berlin somit bereits ein gut ausgebautes Unterstützungsangebot. Obwohl diese Netzwerke im Zusammenhang mit frauenspezifischen Ausprägungen des Menschenhandels aufgebaut worden sind, konnten wir nach der Ausweitung des Straftatbestandes darauf zurückgreifen, um rasch Angebote auch für männliche Betroffene zu konzipieren. Es gilt nun – in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales – die in Berlin vorhandene gute Expertise zu nutzen, um auch im Hinblick auf andere Bereiche des Menschenhandels neue Wege und Lösungen zu finden."
Heike Rudat, Dezernatsleiterin beim Berliner Landeskriminalamt:
"Was die Ausbeutung der Arbeitskraft angeht, haben bislang nur herausragende Einzelbeispiele wie der Fall der indonesischen Hausangestellten eines Diplomaten oder der äthiopischen Spezialitätenköchin öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Die strafrechtliche Verfolgung eines solchen Deliktes erweist sich in der Regel als schwierig, obwohl diese Form des Menschenhandels bereits seit fünf Jahren als eigenständiger Straftatbestand im Strafgesetzbuch normiert ist. Einmal liegt dies daran, dass bekannt gewordene Fälle, in denen Menschen ausgebeutet wurden, nicht alle für die Qualifizierung als Menschenhandelsdelikt erforderlichen Tatbestandsmerkmale erfüllen. Außerdem gibt es immer wieder Schwierigkeiten, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft festzustellen, weil die Indikatoren nicht so offensichtlich sind und sich die Betroffenen oft nicht als Opfer empfinden. Oft haben Täter und Täterinnen eine legal wirkende Fassade aufgebaut, die die Ausbeutungsverhältnisse verschleiert, wie beispielsweise in Privathaushalten."
Dr. Nivedita Prasad von der Fachberatungsstelle Ban Ying
"Die Betroffenen selbst sind meist nicht über ihre Rechte und mögliche Unterstützungsangebote informiert, so dass sie aus Angst vor den Tätern oder vor aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen nicht von sich aus Hilfe suchen. Wir haben in den vergangenen Jahren mehrere betroffene Frauen betreut, die entweder in Privathaushalten oder in der Gastronomie ausgebeutet wurden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen haben wir eine Kampagne entwickelt, die die Betroffenen durch speziell konzipierte Plakate und kleine "give-aways" auf Unterstützungsmöglichkeiten hinweisen soll. Wir halten diese Art der Informationsweitergabe, die so bislang noch nicht erprobt wurde, für erfolgversprechender als beispielsweise Infoflyer, und hoffen, so einen Beitrag zur Identifizierung von Betroffenen zu leisten und sie auf Hilfemöglichkeiten aufmerksam zu machen. Dabei sind wir auf die Unterstützung der Öffentlichkeit angewiesen."
Weitere Infos zu Ban Ying und der Kampagne finden Sie unter: www.ban-ying.de
Weitere Infos zu den bekannten Fällen finden Sie unter:
Lakech Demise und Hasniati
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